- Anna, S. (1)
1S. Anna, Mater B. M. V. (26. Juli). Hebr. Channah = Gnade, Gotteshuld; die Angenehme, Liebliche, Wohlgefällige. – Wer die Eltern der seligsten Jungfrau Maria gewesen seien, läßt sich aus der hl. Schrift wegen Mangel an Angaben nicht ermitteln; allein es besteht in dieser Hinsicht eine so allgemeine und bestimmte Ueberlieferung in der Kirche, daß wir darüber eben so wenig im Zweifel seyn können, als über manches Andere, das wir aus dieser Quelle wissen. Es ist nämlich allgemeine, durch das Ansehen der Kirche bekräftigte Meinung, daß Joachim und Anna die Eltern der gebenedeiten Jungfrau Maria gewesen seien, eine Meinung, welche überdieß in die liturgischen Bücher der Kirche Aufnahme fand, was gewiß nicht geschehen wäre, wenn sie nicht auf festem Grunde ruhte. Sind wir aber in Bezug auf die Namen der Eltern Mariens nicht im Ungewissen, so sind wir es um desto mehr hinsichtlich deren näheren Lebensumstände; denn wenn es auch in den ersten Zeiten der Kirche eine Geschichte Mariens und ihrer Eltern gegeben haben mag, so ist diese doch nicht rein und unverfälscht auf uns gekommen, sondern es haben sich fremdartige Elemente, die vorzugsweise von den Irrlehrern ausgingen, derart damit vermischt, daß man das Wahre vom Falschen nicht mehr wohl unterscheiden kann, und mit Fulbert von Chartres versucht ist, selbst das, was kirchliche Schriftsteller als wahr ausgeben, nur behutsam aufzunehmen. Die vorzüglichste Quelle aber, aus der die gewöhnlichen Erzählungen aus dem Leben der Eltern Mariens entnommen sind und die so nachtheilig auf die erste Ueberlieferung eingewirkt hat, ist das sogenannte »Proto-Evangelium« Jakobs des Jüngern, das zu den Apokryphen (unterschobenen Büchern) gerechnet wird, und von einem Juden-Christen, Jakob mit Namen, herrührt, der nach der Meinung der Gelehrten zur Zeit Mariens in Palästina gelebt haben soll. Was jedoch von den Berichten über die hhl. Eltern der Gottesgebärerin einige Wahrscheinlichkeit haben und derursprünglichen Tradition ziemlich nahe kommen dürfte, möchte nach den kirchlichen Schriftstellern Folgendes seyn: Zu Nazareth war ein wohlbemittelter Mann, Namens Joachim, der überaus gottesfürchtig lebte und reichliche Opfergaben darbrachte, um den Segen des Himmels zu erflehen. Als er einst mit den Uebrigen opfern wollte, wurde er von einem gewissen Ruben daran gehindert, weil er dessen nicht würdig sei, da es ihm an Kindersegen gebreche. Dadurch, heißt es weiter, habe er sich über alle Maßen unglücklich gefühlt und sich so sehr betrübt, daß er nicht zu seinem Weibe zurückgekehrt, sondern zu seinen auf dem Gebirge weidenden Heerden gegangen sei und daselbst in der Einsamkeit Gott sein Leid geklagt habe. Nachdem Joachim auf solche Weise Monate lang von seiner Ehefrau Anna entfernt gewesen, sei diese, da sie inzwischen den Grund erfahren, in den größten Jammer gefallen, und habe Gott inständigst angefleht, ihre Schmach von ihr zu nehmen und ihr einen Nachkommen zu bescheeren. Als sie nun einst in den Garten gegangen, daselbst wieder recht inbrünstig gebetet und zugleich das Gelübde gethan habe, die Frucht ihres Leibes, wenn sie eine solche erhalten würde, Gott in seinem Tempel zu weihen, da sei ihr ein Engel erschienen und habe sie nicht nur getröstet, sondern ihr einen Sprößling verheißen, der zur Verwunderung Aller seyn würde. Zu gleicher Zeit habe der hl. Joachim, der auf dem Berge betete, eine Engelerscheinung gehabt, in der ihm dasselbe gesagt ward, und worin er angewiesen worden, zu seiner Frau Anna zurückzukehren. Der hl. Joachim habe alsogleich Folge geleistet, und so sei das Wort des Engels in Erfüllung gegangen. Die hl. Anna habe eine Tochter geboren, die sie Maria (Marjam) nannten und in ihrem dritten Lebensjahre, dem gemachten Gelübde gemäß, Gott in seinem Tempel weihten. – Ist aber dieß das Wesentliche, was von den Eltern Mariens überliefert worden, und dasjenige, was die meiste Wahrscheinlichkeit für sich hat; so kann nicht verschwiegen werden, daß es eine Zeit gab, in der die sonderbarsten Dinge von der hl. Anna nicht nur geglaubt, sondern auch mit solchem Nachdruck gelehrt worden, daß Alle, welche nicht damit übereinstimmten, für irrgläubig gehalten wurden. Dieß ersehen wir hauptsächlich aus einer Predigt, welche der sonst berühmte Dr. Eck, der gegen Luther aufgetreten, über diesen Gegenstand gehalten hat, worin er die unglaubwürdigsten Dinge von der hl. Anna als katholische Lehre ausgibt, und die gegentheilige Meinung als schriftwidrig und als solche verwirft, die gegen die Lehre der Väter verstoße. So sagt er in einer Homilie, die im dritten Theil seiner zu Paris im Jahre 1579 erschienenen homiletischen Werke enthalten ist, die hl. Anna sei eine Tochter des Stollanus und der hl. Emerentiana gewesen, habe mit dem hl. Joachim 20 Jahre in kinderloser Ehe gelebt, endlich aber Erhörung von Gott erlangt und in ihrem 36sten Jahre eine Tochter geboren, die von ihr Maria genannt worden. Bald nach der Opferung im Tempel sei der hl. Joachim gestorben, und es habe dann die hl. Anna – nicht aus sinnlichen Gelüsten, sondern aus Eingebung des hl. Geistes – den Cleophas geheirathet und ihm eine Tochter geboren, die sie gleichfalls Maria genannt habe; als auch dieser bald mit Tod abgegangen, habe die hl. Anna zum dritten Male und zwar mit Salomas sich verehelicht, dem sie ebenfalls eine Tochter mit Namen Maria gegeben habe. Von diesen zwei letztern Töchtern rühre die Verwandtschaft Christi her, deren in den Evangelien Erwähnung geschehe, und zwar so, daß die erstere sich mit Alphäus vermählt und ihm Jakob den Jüngern, Joseph, Simon und Judas Thaddäus geboren habe, während die andere den Zebedäus zum Manne genommen und die Mutter der hhl. Apostel Jakob des Aeltern und Johannes des Evangelisten geworden sei. Also Dr. Eck. Uebrigens war diese dreifache Verehelichung der hl. Anna nicht blos die Meinung des berühmten Kanzlers der Universität Ingolstadt, sondern es war fast die allgemeine Meinung seiner Zeit, die aus frühern Jahrhunderten stammte und ziemlich weit verbreitet war; denn schon in einer Predigt des Kanzlers Gerson in Paris auf die Geburt Mariens findet sich folgende Strophe, die wir in der Ursprache geben:
Anna tribus nupsit: Joachim, Cleophæ Salomæque,
Ex quibus ipsa viris peperit tres Anna Marias,
Quas duxere Joseph, Alphæus, Zebedeusque.
Prima Jesum; Jacobum, Joseph, cum Simone Judam
Altera dat; Jacobum dat tertia datque Johannem.
Besonders aber vor der Mitte des 16. Jahrhunderts entbrannte über die Zahl der Heirathen der hl. Anna der heftigste Kampf unter den Theologen, der zwar unter den polemischen Streitigkeiten mit den Irrlehrern ruhte, aber alsbald nach eingetretenem Frieden wieder sich erhob und nur dadurch zu Ende kam, daß sich die größten Theologen, wie Cäsar Baronius und Robert Bellarmin, für die Monogamie der hl. Anna entschieden aussprachen. Lag dieser Meinung von der Trigamie nur das Streben zu Grunde, die Verwandtschaft Christi, von der oben die Rede war, zu erklären, so entbehrte die Aufstellung des Dr. Eck über die Abstammung der hl. Anna, die er mit so vieler Zuversicht als allgemeine Lehre der Väter und der Kirche hinstellt, insofern alles Grundes, als hierüber unter den hhl. Vätern bezüglich der Eltern Mariä die größte Verschiedenheit herrscht, und als wir in Bezug auf die Meinung der Kirche wissen, daß in dem röm. Brevier vom J. 1536, das also vor Pius V. im Gebrauche war, ein gewisser Garizi als ihr Vater genannt wird. Außerdem kommen hier noch zwei andere sehr verbreitete Ansichten über die hl. Anna in andern Beziehungen zu erwähnen: Es gab nämlich schon zu den Zeiten des Epiphanius, der im 4. Jahrhundert lebte, solche, welche behaupteten, die hl. Anna habe ohne Zuthun eines Mannes empfangen, wobei sie sich auf die Worte stützten, welche der Engel zu dem hl. Joachim sprach, als er ihm die Geburt eines Sprößlings ankündigte; allein jener hl. Schriftsteller hat sie aus eben diesen Worten gründlich widerlegt. Diese Meinung schien jedoch zu den Zeiten des hl. Bernhards gänzlich in Vergessenheit gewesen zu seyn, da sonst dieser hl. Lehrer im Streite über die unbefleckte Empfängniß die Kanoniker von Lyon nicht hätte fragen können, ob sie denn annehmen wollten, die hl. Anna habe ohne Zuthun eines Mannes empfangen; aber im 15. Jahrhundert tauchte sie wieder auf und zwar mit einer Art erklärenden Zusatzes, der übrigens schon im besagten Proto-Evangelium vorkommt, zu dieser Zeit jedoch besonders hervorgehoben wurde, indem es hieß, die hl. Anna habe durch einen bloßen Kuß des hl. Joachim empfangen. Doch diese Ansicht wurde von gründlichen Theologen als ungegründet zurückgewiesen, und als sie im 17. Jahrhundert von einem italienischen Theologen auf's Neue in Anregung kam, vom römischen Stuhl censurirt, wie überhaupt alle Bücher, die einen ungeordneten Cult (indiscretum cultum) der hl. Anna empfahlen, in das Verzeichniß der verbotenen Bücher gesetztwurden. Wenn auch die zweite Meinung, die hier noch in Betracht gezogen werden soll, und die dahin geht, daß die hl. Anna noch mehrere Kinder vom hl. Joachim geboren habe, nicht dasselbe Schicksal erfahren hat; so war doch von jeher der größte Theil der Theologen dagegen, nicht nur in Anbetracht des hohen Alters, in welchem die hhl. Eltern bei der Geburt Mariens standen, sondern auch in Erwägung, daß nach dem Sprachgebrauche der Schrift unter den »Schwestern Mariens« ebenso wie unter den »Brüdern Jesu« nichts anderes verstanden werden könne, als nahe Anverwandte Beider, sei es von väterlicher oder von mütterlicher Seite. – Die Verehrung der hl. Anna findet sich bei den Griechen schon in den allerältesten Zeiten. Nicht nur feierten diese von jeher das Andenken der hl. Anna drei Mal – am 9. Dec. das Fest ihrer Empfängniß, am 9. Sept. das ihrer Vermählung und am 25. Juli das ihrer Entschlafung – sondernes wurden auch ihr zu Ehren Kirchen erbaut und Altäre errichtet. So ließ der Kaiser Justinian I. zu Konstantinopel im J. 550 eine herrliche Kirche unter ihrem Namen aufbauen, zu der nach dem Zeugnisse des Codinus Kaiser Justinian II. im Jahre 705 daselbst eine zweite gleichfalls ihr zu Ehren fügte. Wann ihre Verehrung im Abendlande Aufnahme fand, läßt sich nicht mit Bestimmtheit angeben. Einige behaupten allerdings, dieselbe sei schon durch den hl. Jakob nach Spanien gebracht worden, oder sie sei durch die Westgothen daselbst in Aufnahme gekommen; allein derlei läßt sich nicht beweisen. Das ist jedoch gewiß, daß sie in Spanien zuerst in Europa sehr verbreitet war, und daselbst noch mehr an Ausdehnung gewann, als die ehrwürdige Anna vom hl. Augustin, eine Schülerin der hl. Theresia, nach einer Vision der hl. Anna auf wunderbare Weise eine Kirche ihr zu Ehren erbaute. In den übrigen Theilen Europas mag diese Verehrung auch schon sehr frühe in Uebung gewesen seyn; doch ein öffentlicher, vom hl. Stuhlgenehmigter Cult datirt sich erst aus dem J. 1378, wo derselbe von Papst Urban VI. den Engländern auf deren Bitten bewilligt worden war. Von hier aus verbreitete sich dann derselbe in alle Länder Europas. Was den Leib der hl. Anna betrifft, so soll derselbe im Jahre 710 aus Palästina nach Konstantinopel gebracht worden seyn und von jener Zeit an geben mehrere Kirchen des Abendlandes vor, daß sie einige Theile ihrer Reliquien besitzen. Auch bei uns in Deutschland ist ein Ort, der behauptet, Reliquien der hl. Anna zu besitzen, nämlich das Städtchen Düren (Marcodurum) im Jülichischen. Diese Reliquien sollen anfangs in Mainz gewesen und dann an jenen Ort durch Raub gekommen seyn, wodurch große Streitigkeiten zwischen beiden Städten entstanden, die von Papst Julius II. zu Gunsten der Düraner entschieden worden seyn sollen. Freilich mit der Aechtheit all der Reliquien der hl. Anna, die in verschiedenen Orten Europas (zu Apte in der Provence, in Lyon, Chartres, Köln, Düren, Bologna, in Belgien, Sicilien etc.) seyn sollen, stünde es nicht gut, wenn die Offenbarungen wahr wären, welche Maria von Agreda in Spanien erhalten haben will, und wornach auch die hl. Anna unter denen gewesen wäre, welche beim Tode Christi aus den Gräbern erstanden sind (Matth. 27, 52.) und mit Christus in den Himmel fuhren; allein derlei Offenbarungen haben in historischen Fragen um so weniger Bedeutung, als sie sich häufig widersprechen, wie dieß hier der Fall ist, indem der hl. Brigitta in den Revelationen von der hl. Anna geoffenbart wird, »die Reliquien, die sie von ihr in Händen habe, seien den Gläubigen zum Troste überlassen, bis es dem Herrn gefalle, sie in der allgemeinen Auferstehung höher zu ehren.« Auf die Fürsprache der hl. Anna geschahen viele Wunder, von denen bei den Bollandisten ein ausführlicher Bericht sich findet. Durch diese Wunderwerke wollte der Herr gleichsam darthun, wie wohlgefällig ihm die Andacht sei, welche die Gläubigen einer Heiligen erweisen, die ein vollendetes Muster der Tugend für christliche Eheleute war. In künstlerischer Beziehung wird die hl. Anna dargestellt, als eine ehrwürdige Matrone mit einem offenen Buche, vor ihr fast immer die seligste Jungfrau Maria, entweder als kleines eben in dem Buche lesendes Mädchen, oder als größere Jungfrau mit dem Christkinde, das Mutter Anna auf ihrem Arme empfängt, während Joachim rückwärts steht und zuschaut. Anna wird auf Kirchenbildern immer mit grünem Mantel gemalt, weil sie die Hoffnung der Welt in sich trug, und grün die Farbe der Hoffnung ist. Ihr Unterkleid ist roth, als Farbe der Liebe. In der Bretagne ist Anna deßhalb auch Patronin des grünen Grases, und die Landleute bitten sie jährlich um eine reiche Heuernte. (Menzel). Die hl. Anna ist Patronin von Braunschweig, Patronin und Schützerin der Armuth, mit Joachim Patronin der Eheleute, und nach Radowitz Patronin der Stallknechte – warum letzteres, haben wir nirgends finden können; aber wahrscheinlich wegen eines Wunders, welches auf ihre Fürbitte an dem Vieh geschah und wodurch einem Knecht aus der Verlegenheit geholfen wurde, wie sie wohl deßhalb als Patronin der Armuth gilt, weil sie einst einen ungarischen jungen Mann aus schwerer Noth errettete. Anna ist endlich nach Menzels Symbolik Patronin der Bergwerke – warum dieß aber so sei, läßt sich nicht angeben; genug, überall in erzreichen, besonders in silberreichen Gebirgen finden sich Kirchen und Kapellen der hl. Anna. Vielleicht kommt dieß daher, weil Maria mit dem Monde und Silber, Christus mit der Sonne und dem Golde verglichen wird, wornach die hl. Anna gleichsam die Mutter des Silbers, d.h. das Silberbergwerk selbst ist. Im röm. Mart. steht ihr Name am 26. Juli, wo ihr Entschlafen (Dormitio) gefeiert wird. Auch im römischen Brevier ist ihr Fest am 26. Juli.
http://www.zeno.org/Heiligenlexikon-1858. 1858.