- Liberata, S. (4)
4S. Liberata, (20. Juli), auch Wilgefortis, eine Jungfrau und Martyrin, wurde zum Theil schon oben als S. Kumernissa (»heil. Kümmerniß«) behandelt, dabei jedoch besonders auf die in Deutschland ihr gewordene Verehrung Rücksicht genommen; hier aber soll nun nach den Bollandisten, die sie am 20. Juli (V. 50 –. 70) haben, von ihrer Verehrung in ganz Europa das Nähere angeführt werden. Ihre verschiedenen Namen wurden schon oben (S. 642 ff.) angegeben. Jetzt wollen wir mit dem Bollandisten W. Cuper ein wenig in das »Labyrinth« eingehen, welchem die Geschichte dieser Heiligen gleicht. Cuper beginnt mit Belgien und sagt, daß der dort gewöhnliche Name Ontcommena (»die Entkommene«) dem lat. Namen Liberata (»die Befreite«) so ziemlich entspreche. Von ihr erzählt man nun meistens, sie sei die Tochter eines portugiesischen Königs gewesen, welche, da sie an den König von Sicilien verehelicht werden sollte, Gott, dem sie ihre Jungfrauschaft gelobt hatte, inständig um Entstellung ihres Angesichtes gebeten habe, damit ihr Verlobter Abscheu gegen sie bekomme. Auf ihr Gebet hin sei ihr nun der Bart wie einem Manne gewachsen, worüber sich ihr heidnischer Vater so sehr entsetzte, daß er seine Tochter an's Kreuz schlagen ließ. Die Bollandisten geben pag. 59 ihr Bild, wie sie in mehreren Kirchen Belgiens dargestellt wird, nämlich als ein an ein Kreuz genagelter, ganz bekleideter, bartiger Mann mit einer Krone auf dem Haupte und zu dessen Füssen jenes Geigerlein, von welchem schon oben (S. 643) die Rede war130. Aber pag. 60 haben sie ein anderes Bild, wo sie in weiblichen (einfachen) Kleidern und ohne Bart am Kreuze hängt, welches Bild in Mecheln sich findet, wo die Gekreuzigte die »Jungfrau der Kranken« heißt. Endlich pag. 63 haben sie ein drittes Bild, wo die Heilige auch in weiblichen, jedoch kostbaren Kleidern am Kreuze hängt, aber mit dem Barte und dem Geiger zu den Füssen. Bei den Belgiern heißt die Heilige auch noch Liberatrix, Eutropia, Regrufledis oder Regenflegis. – In Gallien, besonders in der Provinz Aquitanien, wurde schon zur Zeit Karls des Großen unter dem Namen Ste-Livrade eine hl. Jungfrau verehrt; es frägt sich aber, ob diese mit der in Belgien, Spanien und Portugal unter dem Namen Liberata, Wilgefortis etc. verehrten Martyrin identisch ist? Einige Hagiologen bejahen dieses, haben jedoch dafür kaum einen andern Grund als die Namensgleichheit, welche aber oft täuscht, indem nicht selten gleichnamige Heilige miteinander confundirt werden. Die Meisten nehmen eine Verschiedenheit an, und auch der Bollandist Cuper, welcher gleich anfangs (p. 50. nr. 3) bemerkt, daß man in Belgien von der Verehrung der aquitanischen hl. Libera ta oder Wilgefortis keine Kenntniß habe, während dagegen die Spanier und Portugiesen von dem männlichen Barte der hl. Liberata nichts wissen; übrigens werde auch in Deutschland, England, Böhmen und in der Schweiz eine hl. Liberata oder Wilgefortis (Wilfordis) verehrt. – Was nun Aquitanien betrifft, so berichtet der Hagiolog Castellanus zum 23. Febr., Karl der Große habe bei seinem Palaste Cassinogil am Lot (Olda) im Gebiete von Agen eine Kirche erbaut und dieselbe zu Chren der hl. Liberata einweihen lassen, die wahrscheinlich in dieser Gegend gestorben war, und deren daselbst vorhandene Reliquien die Veranlassung zur Einweihung auf ihren Namen gegeben haben. Diese Kirche wurde später ein Priorat des Benedictiner-Ordens, und es entstand allmählich um dieselbe herum eine Stadt, die den Namen Ste-Livrade erhielt. Ueberhaupt befinden sich in Aquitanien mehrere Kirchen und Kapellen, welche auf den Namen der hl. Liberata eingeweiht sind; auch in der Nähe von Toulouse ist eine Pfarrei, welche den Namen Ste-Livrade führt. Simon Peyronette meint, diese hl. Liberata sei identisch mit der hl. Liberata, welche die Spanier in Siguenza (Seguntia, Segontia) verehren. In dieser spanischen Stadt hat die hl. Liberata ein prachtvolles Grabmal, und ihr Hauptfest wird dort am 18. Jan., ihre Translation aber am 15. Juli gefeiert. Nach Trugillus war die hl. Liberata die Tochter eines Fürsten oder Königs, Namens Catellius (n. A. Castellius, Catillius); ihre Mutter hieß Calsia (n. A. Alfia und Quiteria). Die heidnischen Eltern hatten ihre Residenz in der spanischen Stadt Bolcagia (n. A. Beleagra, später Bajonne) in der Provinz Galicien; ihre 9 Töchter aber, nämlich Liberata oder Vulgefortis, Genibera, Victoria, Eumelia, Germana, Gemma, Marcia, Basilia und Quiteria waren alle von Kindheit an im Christenthume wohl unterrichtet worden131. Von allen Andern zeichnete sich Liberata durch ihre Glaubensfestigkeit aus. Sie wohnte in einer Einöde als Einsiedlerin und bekehrte durch Wort und Beispiel viele Heiden, da nebst vielen Christen auch viele Heiden zu ihrhinaus kamen. Zu jener Zeit erging dann von Rom aus ein Edict, daß die Christen ihren Glauben aufgeben sollten oder getödtet werden müßten. Liberata war nun mit ihren Schwestern und andern Christen (mit Ausnahme der Quitexia, die für sich allein bei anderer Gelegenheit den Martertod erlitt) angeklagt worden. Man schleppte sie vor ihren Vater, und da dieser sie durch keine Liebkosungen zur Verläugnung des Glaubens bewegen konnte, ward er von satanischer Wuth erfüllt; er peinigte sie auf alle nur ersinnliche Weise und ließ sie enthaupten. Ungewiß ist es, ob alle andern gefangenen Christen mit der hl. Liberata enthauptet wurden. Erst nach mehreren Jahren ließ der Bischof Simeon den Leib der hl. Liberata in einen silbernen Sarg legen und an einem erhabenen Orte aufstellen mit dem Befehle, daß sie von Allen verehrt werden solle. Dieser Angabe des Trugillus entgegen behaupten aber der Erzbischof Rodericus da Cunha von Braga und mit ihm die Portugiesen, daß die hl. Liberata von Siguenza zu Como im Mailändischen geboren und von dort nach Siguenza geb racht worden sei, während die portugiesische Liberata132 zu Braga (Bracara) geboren, nicht blos Jungfrau, sondern auch Martyrin gewesen sei und am 20. Juli gelitten habe; die italische aber habe der Bischof Simon Giron von Florenz mit besonderer Erlaubniß des Papstes Bonifacius VIII. nach Siguenza übertragen, wie dieses auch aus den Lectionen dieser Kirche am Feste dieser Jungfrau am 15. Juli erhelle. Da aber die portugiesische Liberata schon vor dieser Zeit in Siguenza bekannt war, so ist leicht möglich, daß die Schriftsteller jener Zeit die Eine mit der Andern verwechselten, und der italischen zuschrieben, was der portugischen eigenthümlich war, und so umgekehrt. Die Reliquien dieser großen Jungfrau und Martyrin, schließt Rodericus nach Beschreibung des Lebens und Todes derselben, haben die Christen in derselben Stadt Cale (jetzt Oporto) begraben, und sei nicht bekannt, daß dieselben von dort anderswohin übertragen wurden, während es am Tage liege, daß die Reliquien der hl. Liberata von Siguenza aus Italien kamen. Diesem gegenüber behauptet Tamayus, es sei nicht möglich, daß die hl. Liberata von Siguenza identisch sei mit der hl. Liberata von Como, die daselbst noch und auch zu Florenz verehrt wird; denn aus den Acten der Kirche von Florenz erhellt, daß der Sarg der hl. Jungfrau Liberata2 von Como im J. 1317 aus einem niedrigen Orte in die Hauptkirche von Como übertragen wurde; folglich kann der hl. Leib nicht schon 15–23 Jahre vorher nach Siguenza gebracht worden seyn, wie dieses Rodericus behaupte, es müsse also die hl. Liberata von Siguenza verschieden seyn von der hl. Liberata von Como. Der Bollandist Cuper führt hier aber noch was Schlagenderes an, was bei Tamayus nicht berücksichtigt ist: Balthasar Poremus berichtet, daß bei der letzten im J. 1537 vorgenommenen Uebertragung der siguenzischen hl. Liberata das Unterkleid der hl. Jungfrau so sehr mit frischem Blut überronnen gesehen wurde, als wäre dasselbe erst am Tage zuvor vergossen worden. Ist dieser Bericht wahr, so kann die hl. Liberata von Siguenza nicht identisch seyn mit der von Como, welche ihr Blut nicht für Christus vergossen, sondern mit ihrer Schwester Faustina heilig im Kloster lebte und am 18. Jan. ruhig im Herrn entschlief. (S. S. Liberata2). Nach Mariana hätte die hl. Liberata mit der hl. Quiteriaden Martertod zu Siguenza selbst erlitten; es scheint aber dieser Schriftsteller den Ort der Verehrung für den Ort des Kampfes gehalten zu haben. Nach Andern wäre diese hl. Liberata enthauptet worden. Neuere Vertheidiger der Pseudochroniken stimmen nicht miteinander überein; die Einen nehmen nur eine, die Andern zwei portugiesische Liberata an. Letztere sagen, die Eine habe mit 8 Schwestern im J. 138, die Andere aber im J. 308 gelitten. So unterscheidet auch Ferdinand de Camargo Beide von einander, und eben so erkennt auch Poremus eine doppelte Wilgefortis an. Tamayus sagt in seinem spanischen Martyrologium, die Reliquien der hl. Liberata seien anderswoher nach Siguenza gebracht worden und zwar vom Bischofe Simon im J. 1300. Das alte Brevier von Siguenza berichtet, daß der Bischof Fredericus a Portugali, damals Bischof von Siguenza, später aber von Saragossa, unter dem Namen dieser heiligen Jungfrau eine königliche Kapelle erbaut und in derselben ihre Reliquien in einem silbernen Sgrge, der in einem steinernen eingeschlossen war, am 15. Juli 1537 beigesetzt habe, wobei viele Wunder sich ereigneten, und das Gewand der hl. Jungfrau gleichsam mit frischem Blute übergossen befunden wurde. Seit dieser letzten Translation wurde die Verehrung der hl. Liberata zu Siguenza sehr gehoben, und später ihr Fest nach einem Decret S. R. C. vom 26. Sept. 1682 alljährlich in ganz Spanien am 20. Juli ritu dupl. 2. cl. gefeiert. In den ältern Lectionen des Breviers wird die hl. Jungfrau nur Liberata, in den neuern aber auch Wilgefortis genannt, welcher Name wahrscheinlich dem Pseudo-Dexter entnommen ist, der unter allen spanischen und portugiesischen Schriftstellern den Doppelnamen enthält. Im ältern Brevier wird die Erzieherin der 9 Schwestern Sila genannt; im neuern aber wird dieser Name verschwiegen. Pseudo-Julianus behauptet, er sei selbst in der Kirche gewesen, wo der Leib dieser hl. Sila aufbewahrt werde; man glaube, sie sei kurz nach den hhl. Jungfrauen des Martertodes gestorben. Auf die Autorität dieses Pseudo-Schriftstellers hin nahm nun Tamayus, der die Zahl der spanischen Heiligen zu erhöhen sich bestrebte, diese hl. Sila bereitwilligst am 1. Nov. in sein Martyrologium auf. In vielen andern Stücken widersprechen sich das alte und das neuere Brevier, besonders auch in Beziehung auf Zeit und Ort des Mgrtyrthums, so wie auf die Abstammung der hl. Jungfrgu. – Was die Abbildung der hl. Liberata betrifft, so ist hierüber schon oben das Nähere gesagt worden. Im Mart. Rom. steht am 18. Jan. der Name der hl. Jungfrau Liberata2 von Como, dagegen am 20. Juli nur der Name der hl. Wilgefortis als einer Jungfrau und Martyrin in Portugal, welche für den christlichen Glauben und für die Keuschheit kämpfend am Kreuze einen glorreichen Triumph zu erhalten verdiente. Vgl. S. Kumernissa. (V. 50–70).
http://www.zeno.org/Heiligenlexikon-1858. 1858.